Viktorias nächster Schritt am Abgrund

Fußball: Präsidium stellt überraschend Insolvenzantrag wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Zunächst keine Auswirkungen auf Spielbetrieb

Fußball Donnerstag, 19.11.2009 - 00:00 Uhr

Geht eine 108 Jahre alte Tradition unrühmlich zu Ende? Michael Schuch, erst seit sieben Monaten Präsident des Traditionsvereins, hat am Dienstag beim Amtsgericht Aschaffenburg Insolvenz angemeldet. Der Schritt kam zum jetzigen Zeitpunkt völlig überraschend.

Dr. Günter Will, Pressereferent am Landgericht Aschaffenburg und damit zugleich zuständig für die Amtsgerichts-Auskünfte, bestätigte, dass der Verein »einen Insolvenzantrag wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung« gestellt hat. Das vorläufige Insolvenzverfahren wurde am Mittwochvormittag eröffnet, mit der Insolvenzverwaltung wurde Fachanwalt Nikolaus Ackermann von der Aschaffenburger Kanzlei HAF Hufnagel betraut.
Drohung mit Zwangsvollstreckung
»Das Präsidium des Fußball-Hessenligisten Viktoria Aschaffenburg hat am Dienstag beim Amtsgericht Aschaffenburg einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens wegen Überschuldung gestellt«, heißt es in einer dürftigen Presseerklärung, die der Verein am späten Mittwochabend veröffentlichte. Darin nennen Schuch und Geschäftsführer Hermann Helfmann als Grund für den »zum jetzigen Zeitpunkt überraschenden Schritt« »massive Androhungen von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen bis hin zur Abgabe entsprechender eidesstattlicher Erklärungen«, die bei den Verantwortlichen des Vereins nach den jüngsten Veröffentlichungen zur Finanzlage des Vereins eingegangen seien. Ende Oktober, bei einer nichtöffentlich abgehaltenen Mitgliederversammlung, hatte Viktoria-Präsident Schuch die Schulden des Vereins auf 480 000 Euro. Einen Tag später erklärte er auf Nachfrage unserer Zeitung, dass er kurzfristig bis Februar 150 000 Euro aufbringen müsse, gab sich aber zuversichtlich, dieses Ziel zu erreichen.
In der Tat war für den kommenden Donnerstag ein Treffen mit potenziellen Sponsoren angesetzt. Klare Signale über Zahlungen gab es von dort. Helfer und Freunde des Vereins haben überdies Kontakte zu Eintracht Frankfurt und Schalke 04 wegen Freundschaftsspielen am Schönbusch geknüpft.
Laufende Kosten zu hoch
Anlass für den Gang zum Insolvenzgericht sind offenbar auch die zu hohen Kosten für die laufende Saison. Insider sprechen von Kosten von über 250 000 Euro. Nach dem freiwilligen Rückzug aus der Regionalliga war allgemein der Neuaufbau einer Mannschaft mit jungen Kräften aus dem eigenen Nachwuchs erwartet worden. Gekommen ist dann eine Elf mit vielen erfahrenen, sogar regionalliga-erprobten Spielern, die prompt wieder an der Spitze der Oberliga mitmischt. Allerdings zu einem höheren Preis als zunächst geplant. Dass die Spielergehälter bei der Insolvenzanmeldung ebenfalls eine Rolle gespielt haben, verscheigt das Präsidium nicht: »Ein weiterer Grund ist, dass ab Oktober 2009 die Gehälter der Spieler nicht mehr bezahlt werden konnten«, heißt es in der Pressemitteilung. Ende Oktober hatte Schuch in einem Pressegespräch betont, dass alle Spielergehälter der laufenden Runde bezahlt seien.
Ein weiteres Beispiel für die gegenwärtigen Finanznöte bei der Viktoria: Seit einigen Wochen muss die Mannschaft ohne Physiotherapeuten auskommen, die wegen ausstehender Gehaltszahlungen nicht weiter tätig sein wollten.
Mit dem Gang zum Insolvenzgericht wolle das Präsidium »durch die Abwicklung einer geordneten Insolvenz« den Verein »vor dem endgültigen Aus bewahren«, schreiben Schuch und Helfmann. Schuch hatte in den letzten Wochen und Monaten bereits mehrfach eine Insolvenz überlegt, war aber immer wieder von Personen aus dem Umfeld gebremst worden. Um Alleingänge zu verhindern, sollte auf der letzten Mitgliederversammlung ein Verwaltungsrat installiert und die Satzung dahingehend geändert werden, dass Fragen wie sportliche Auf- und Abstiege oder Insolvenz nur mit Zustimmung dieses Gremiums beantwortet werden könnten. Sowohl Wahl wie Satzungsänderung ließ Schuch wieder von der Tagesordnung streichen.
Neben Schuch ist am Schönbusch nur Geschäftsführer Hermann Helfmann als Offizieller tätig, dessen Bestätigung im Amt eigentlich im Oktober auf der Hauptversammlung erfolgen sollte. Eine Wahl weiterer Vorstandsmitglieder fand ebenfalls nicht statt, der bis im Sommer agierende Arbeitskreis war von Schuch kaltgestellt worden.
Einer der am häufigsten geäußerten Kritikpunkte an der Arbeit des Präsidenten war sein Hang zu Alleingängen. Sowohl der Regionalligarückzug wie auch die Insolvenzanmeldung geschahen ohne Rücksprache und stellten das Umfeld jeweils vor vollendete Tatsachen. Solche einsamen Entscheidungen wird es am Schönbusch vorerst nicht mehr geben - jetzt hat der Insolvenzverwalter das Sagen. Er war gestern für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
Mannschaft gestern informiert
Die Mannschaft wurde erst gestern Abend offiziell von Präsidium und Insolvenzverwalter informiert. Trainer Marco Roth wollte sich zu diesem Thema nicht äußern. Er wolle sich auf den sportlichen Bereich konzentrieren und versuchen, trotz widriger Umstände die Spieler bei Laune zu halten.
Wie geht es weiter? Entscheidend für den Fortbestand des Vereins wird es sein, Geld für die Insolvenzmasse zu sammeln. Dabei hat es derzeit den Anschein, dass sich eine Gruppe außerhalb des jetzigen Präsidiums zusammenfinden könnte, um die Rettung zu organisieren. Schon mehrfach haben in der Vergangenheit Runde Tische, Arbeitskreise oder anderweitig organisierte Freunde die Viktoria gerettet. Ob in diesem Fall die Präsidentschaft Schuchs andauert, kann bezweifelt werden. Weder Schuch noch Helfmann waren gestern für eine Stellungnahme zu erreichen.
Klaus Gast/as