Nahezu zwangsläufig damit verbunden ist eine den Zuschauer mit den Möglichkeiten des Schauspiels und der Bühnentechnik stärker reizende Darstellung. Ein gelungener Versuch: Das Publikum der Premiere am Samstag bedankte sich mit stehenden Ovationen für die Leistung der Darsteller und der von Waltraud Amrhein als Spielleiterin verantworteten Regie.
Manchmal sind es nur Nuancen, die das Passionsspiel aus dem reinen Erbauungsstück über das Leiden Christi und dessen Auferstehung herausführen: beispielsweise das Spiel mit dem Klischee, indem ausgerechnet Judas Ischariot als der einzige Jünger mit kahlgeschorenem Kopf und Spitzbart sichtbar zum Außenseiter gestempelt wird.
Alle Phasen der Gefühlswelt
Und es sind wesentliche Akzente, die die in dem Wunder der Auferstehung mündende Passion als sehr menschliche und berührende Schicksale zeichnet: Eben dieser Judas, aber auch der römische Statthalter Pontius Pilatus und König Herodes werden hier nicht als eindimensional böse Figuren gezeichnet. Gerade sie - die als Verräter und Urteilssprecher das Böse verkörpern - werden aus ihrer Eindimensionalität befreit und als Spielball enttäuschter Hoffnungen und politischer Interessen dargestellt. Die Fähigkeit zu denken und damit das eigene Verhalten nach Gutdünken zu bewerten; das im eigenen Sinn Gute zu wollen und dem Allgemeinwohl das Böse zu bringen: Diese Verhaltensweisen sind auf dieser Welt letztlich nur dem Menschen zu eigen - und es bedarf nicht einmal des aktuellen Weltenlaufs, um zu erkennen, welch Verantwortung jeder Mensch auf sich nimmt oder ihm aufgebürdet wird.
Insofern ist es nur folgerichtig, dass Jesus Christus in diesem Passionsspiel in einem neuen Licht erscheint: Alfred Krott - der vor 15 Jahren die Idee für die Dammbacher Passionsspiele hatte und in den ersten Spielzeiten die Hauptrolle spielte - dokumentierte zuvorderst das im wahren Wortsinn Gott ergebene Leiden Christi auf Erden, ganz gemäß jenem Satz des Psychoanalytikers Sigmund Freud (1856 bis 1939), der wie ein Leitsatz der Menschheitsgeschichte erscheint: »Es gibt Menschen, die sind nur in ihrem Leid glücklich.«
Michael Lattus - der sich mit Paul Kroth in der Darstellung Jesu abwechselt und die Rolle bei der Premiere inne hatte - dagegen steht für eine Jesus-Interpretation, die alle Phasen menschlicher Gefühlswelt durchlebt: Hier ist ein Sanftmütiger und Gutmeinender, der erst allmählich begreift, dass nicht er selbst das Handeln bestimmt, sondern einen Auftrag zugewiesen bekommen hat. Dieser Jesus zweifelt nicht nur. Trotz des Wissens um die Notwendigkeit seines Schicksals für die Menschheit zeigt er sich seinen Richtern gegenüber verstockt, wandelt sich sein Charisma zeitweise zu Resignation. Als Mensch auf diese Welt zu kommen, mag zunächst reiner Zufall sein - aber Mensch zu sein erfordert sehr viel Kraft, ist die eher unterschwellige, aber sehr bewegende Botschaft.
Wahre Größe durch Miteinander
Nicht nur diese Botschaft geben die Dammbacher Passionsspieler dem Publikum zum einen mit dem auf der Bühne sichtbaren Beweis für Gemeinschaftssinn und -gefühl mit auf den Weg. Zum anderen nehmen sie die Zuschauer durch geschicktes Gewichten der Szenen mit: Die erste Hälfte des Spiels ist mit einer Dauer von etwa eineinhalb Stunden eher dem philosophischen Diskurs vor allem von Jesus in der Ansprache zu den Menschen und dem Zweifel von und an Judas gewidmet. Die zweite und mit zwei Stunden längere Hälfte dagegen ist die deutlich handlungs- und damit abwechslungsreichere. Beide zusammen ergeben ein stimmiges Gesamtbild der Passion.
Das Premierenpublikum tat gut daran, mit seinem Applaus keinen der Darsteller einzeln hervor zu heben, sondern eine Gesamtleistung zu würdigen. Jeder auf der Bühne ist mit seinen Fähig- und Möglichkeiten gleichermaßen engagiert, nur durch dieses Miteinander ergibt sich die wahre Größe dieses lebenden Bilds der Ostergeschichte.
Stefan Reis
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Dammbacher Passionsspiele (4 Stunden inklusive einer Pause): Die meisten Vorstellungen sind bereits ausverkauft, Karten gibt es noch für die Aufführungen an den Freitagen, 16. und 23, sowie am Samstag, 17., und Sonntag, 18. Mai (freitags und samstags 18 Uhr, sonntags 17 Uhr). Kartenreservierung unter Tel. 01 62 / 1 83 78 98 montags bis samstags 10 bis 12 Uhr, montags bis freitags 17 bis 19 Uhr; Mail tickets@passionsspiele-dammbach.de.
Hintergrund: Passionsspiele in Dammbach
Passionsspiele sind Dramen zur Passion- dem Leiden und Sterben Jesu von Nazareth. Die mehrstündigen bis -tägigen Karfreitags- oder Passionsspiele und die sich thematisch überschneidenden Osterspiele waren im Mittelalter und in der frühen Neuzeit in ganz Europa verbreitet. Heute werden Passionsspiele vor allem in den katholisch geprägten Regionen Bayerns und Österreichs aufgeführt. Die bekanntesten Passionsspiele sind seit dem 17. Jahrhundert in Oberammergau.
In Dammbach gibt es seit 2001 auf eine Initiative von Alfred Krott hin Passionsspiele.
Nach der zweiten Spielzeit 2004 wurde ein Spielintervall von fünf Jahren festgelegt, so dass die dritten Passionsspiele in Dammbach 2009 waren. Die Drehbücher der ersten drei Spielzeiten schrieb Alfred Krott jeweils neu, in der dritten Spielzeit wurde die von ihm bis dahin allein versehene Rolle des Jesus mit einem weiteren Darsteller besetzt. In dieser Spielzeit mit insgesamt 105 Mitwirkenden spielt Alfred Krott erstmals nicht Jesus. Diesen Part übernehmen Michael Lattus und Paul Kroth. Alfred Krott spielt abwechselnd mit Karl-Heinz Bohn und und Herbert Hirsch die Apostel Philippus und Petrus. Auch Jesus Mutter Maria (Christel Geyer und Mercedes Kress) und Maria von Magdala (Annika Herrmann und Maria Stauder) sind Doppelbesetzungen.
Insgesamt sind etwa 200 der etwa 1800 Einwohner von Dammbach vor und hinter den Kulissen an der Produktion beteiligt.
Weitere Passionsspiele im Mainfränkischen und im Spessart sind seit 1983 in Bad Soden-Salmünster (Main-Kinzig-Kreis) und bereits seit 1933 im Euerbacher Ortsteil Sömmersdorf (Kreis Schweinfurt). (Stefan Reis)