Marlon Brando als Stanley Kowalski, das ist auf Zelluloid gebannte Filmgeschichte, eingeprägt in unser kulturelles Gedächtnis. Wer auch immer seither das Südstaaten-Drama auf die Bühne gebracht hat, musste es tapfer aufnehmen mit dem großen Vorbild - als Schauspieler wie als Regisseur.
Dem English Theatre ist der Coup gelungen. Pünktlich zum 30. Geburtstag des Hauses inszeniert Jonathan Fox den epochalen Klassiker souverän und mit soviel Herzblut, dass man den Film glatt vergisst. Der Regisseur bringt das Kunststück fertig, zweieinhalb Stunden reine Spielzeit kurzweilig wie nie zu gestalten, trotz des harten Tobaks, der da auf die Bretter kommt. Die Geschichte ist bekannt: Eine nervlich angeschlagene Blanche DuBois (Tamara Scott) besucht ihre Schwester Stella (Sarah Dandridge), die mit ihrem rüden Gatten Stanley (Michael Aronov) in einem ärmlichen Bezirk von New Orleans lebt. Um dorthin zu kommen, nimmt Blanche die Straßenbahnlinie "Sehnsucht" (daher der Titel).
Schnell kommt es zwischen Stanley und Blanche zu Spannungen: Der Hausherr erscheint Blanche als "primitiver Affe", der seine Frau und jeden um sich herum unterdrückt.
Blanche selbst gibt zwar die kultivierte Dame, hat aber trotz des seriösen Deckmantels so einige Leichen im Keller: Süßem Likör kann sie ebenso wenig widerstehen wie den Männern.
Auf der Suche nach Liebe hat sie sich in der Vergangenheit durch ihre Heimatstadt geschlafen. Doch die Sehnsucht blieb unerfüllt. Tief sind die Verletzungen, die während des Besuchs nach und nach ans Tageslicht gezerrt werden. Ein Strudel von Abhängigkeiten, unerfüllten Wünschen und psychischer wie körperlicher Gewalt reißt das Dreiergespann in die Tiefe, der Katastrophe entgegen.
"Ich will Magie" Regisseur Fox kann sich in Frankfurt auf ein hervorragendes Ensemble berufen. Tamara Scott spielt die Blanche zwischen aufgedreht und aufgewühlt, um sie nach und nach immer mehr in den Wahnsinn abgleiten zu lassen. "Ich will keine Wirklichkeit, ich will Magie", sagt Blanche einmal - und umschreibt damit die Unerreichbarkeit ihres Liebestraumes. Ihr Gegenpart Stanley ist ein Tier: Michael Aronov lässt die Muskeln spielen, frisst wie ein Scheunendrescher und greift sich in den Schritt, gibt seiner Bestie aber dennoch genug Humor mit, um sie zum Publikumsliebling zu machen. Beeindruckend auch das Bühnenbild von Neil Prince. Ein windschiefes Haus reckt sich in den Himmel, der mit seinen dunklen Wolken bereits das sich anbahnende Drama erahnen lässt. Die Farben der Ausstattung: schönstes Technicolor, eine Hommage an Hollywood. Eine geschwungene Treppe wird zur Rampe für alles Menschliche. Hier wird gestritten, gezetert, gesoffen und geküsst - die melancholischen Melodien dazu liefert Musiker Guy Gretschel auf dem Saxophon. Eine werkgetreue Inszenierung, die ohne Aufgeregtheit daherkommt und schlichtweg überzeugt. Ein schöneres Geburtstagsgeschenk hätte sich das English Theatre nicht machen können.
Martina Himmer "A Streetcar Named Desire" im English Theatre Frankfurt, Aufführungen noch bis zum 24. Oktober, Dienstag bis Samstag 19.30 Uhr, Sonntag 18 Uhr;
www.english-theatre.org