Main-Echo Pressespiegel

Unterm Zug, auf dem Zug und im Zug

Verkehr: Jeder der 52 Triebwagen der Westfrankenbahn muss regelmäßig zur Inspektion nach Schöllkrippen
Schöllkrippen  Bernd Jeckel kennt seine Züge. Acht bis zehn Mal sehe er jeden Triebwagen der Westfrankenbahn im Jahr. Denn Bernd Jeckel ist Leiter der Bahnwerkstatt in Schöllkrippen. Hier werden die aktuell 52 Triebwagen der Bahngesellschaft - 35 der älteren Baureihe VT 628 und 17 der Baureihe VT 642 - gewartet.

Nur für jene Fahrzeugreihen ist die Bahnwerkstatt zugelassen. Die notwendige Befähigung dazu wird regelmäßig mit Autorisierungsaudits überprüft. Andere Fahrzeuge der Westfrankenbahn, etwa die Dieselloks der Baureihe 218, müssen in anderen Betrieben gewartet werden. Dafür sind aber gelegentlich auch Triebwagen der Kurhessenbahn in Schöllkrippen zu Gast.
Arbeiten immer umfangreicher
»Wir schauen hier nach allen sicherheitsrelevanten Dingen, zusätzlich nach zuverlässigkeitsrelevanten und komfortrelevanten«, so Jeckel. Die Wartungsintervalle sind vorgeschrieben. Alle 15 000 Kilometer muss ein Triebwagen zur Inspektion, wobei die Arbeiten mit jedem Intervall umfangreicher werden. Reicht bei der ersten Inspektion noch eine Arbeitsschicht, steigert sich dies auf vier bis fünf Arbeitsschichten.
Spätestens nach acht Jahren oder 120 000 (VT 642) beziehungsweise 130 000 Kilometern (VT 628) steht eine Hauptuntersuchung an. Diese Fahrleistung entspricht in etwa der Kilometerzahl, die ein Triebwagen der Westfrankenbahn im Jahr zurücklegt.
Nach 1,3 Millionen (VT 642) beziehungsweise 1,2 Millionen Kilometern (VT 628) werden die Fahrzeuge zudem auf Herz und Nieren geprüft. Dazu werden sie komplett auseinandergenommen, der Wagenkasten vermessen und nach Rissen untersucht. Diese Arbeiten, die vier Wochen dauern, sind für Schöllkrippen zu aufwendig; daher erfolgen sie entweder in Kassel (nur VT 628) oder Chemnitz.
Umfangreiche Reparaturen, etwa nach Unfällen, müssen ebenfalls nach außen gegeben werden. In Schöllkrippen können aber große Verschleißteile wie Motoren, Radsätze oder Drehgestelle ausgebaut und getauscht werden.
In der Halle wartet gerade der Powerpack eines VT 642 auf die Abholung zur Wartung. Beim VT 642 sind Motor und Getriebe als eine Einheit, dem Powerpack, in den Drehgestellen verbaut und können komplett gewechselt werden. Bei den älteren VT 628 sitzen Motor und Getriebe dagegen noch konventionell im Wagenkasten.
Vier Fahrzeuge können gleichzeitig in der Halle gewartet werden. Ein Arbeitsgleis verfügt über eine Arbeitsgrube, ein anderes über ein aufgeständertes Gleis, so dass alle Teile des Fahrzeugbodens erreichbar sind. Zudem ist eine Hebeanlage vorhanden, deren acht Hebearme einen kompletten Triebwagen liften können. Eine heb- und senkbare Plattform ermöglicht dann den Austausch von Radsätzen und Drehgestellen.
Weiterhin hat die Halle einen Dacharbeitsstand, der an den Zug herangefahren werden kann. Das Dach des VT 628 ist zwar bis auf einige Lüfter leer, beim V 642 sitzt hier aber die Klimaanlage, die gewartet werden muss.
Bei der Wartung werden die Züge innen und außen gereinigt. In der vorne offenen Vorhalle steht eine Waschanlage. Diese nutzt das Regenwasser, das vom Dach gesammelt wird. Die Beseitigung von Graffiti wird hingegen an eine Spezialfirma vergeben. Grund dafür ist, dass dabei mit sehr aggressiven Chemikalien gearbeitet wird, die speziell behandelt und entsorgt werden müssen. Auch die Innenreinigung ist an ein Subunternehmen vergeben.
Toilettentester
In der offenen Vorhalle steht auch eine mobile Fäkalienabsaugung für die Zugtoiletten. Seit Mai 2017 verfügt die Werkstatt über eine Toilettentestanlage. Mussten bisher bei Störungen die Toiletten - in Zügen eine komplexe Anlage mit Vakuumpumpe und Absauganlage - getauscht und eingeschickt werden, kann man jetzt vor Ort Fehler finden und gezielt reparieren. Dies spare eine Menge Geld im Jahr, erklärt Jeckel.
Knapp 30 Menschen arbeiten in Schöllkrippen Montag bis Donnerstag von 6 bis 22 Uhr in zwei Schichten. Freitags und Samstags gibt es jeweils nur eine Schicht von 8 bis 16 Uhr - zur Schonung der Anwohner. Eine mobile Werkstatt behebt kleinere Pannen vor Ort im gesamten Streckennetz.
20 Handwerker im Betrieb
Neben Bernd Jeckel arbeitet in der Werkstatt mit dem Instandhaltungsleiter Alexander Huth ein Meister. Zudem sind 20 qualifizierte Handwerker angestellt - vier Vorarbeiter, drei Elektroniker, drei Mechatroniker und neun Industriemechaniker - sowie ein Lagerist und je ein Sachbearbeiter Steuerung und Materiallogistik/Umweltschutz. Die Handwerker verfügen über unterschiedliche Qualifikationen: für Bremsen, Türen, Leitern und Tritte, Ultraschallprüfung, Lüftungsanlagen, Zugfunk, Induktive Zugsicherung oder Druckbehälter.
Auch ein Klebpraktiker ist darunter, denn bei modernen Zügen ist vieles verklebt, was früher geschweißt und verschraubt war. So etwa die Frontscheibe des VT 642. »Beim ICE 3 sind sogar alle Fenster geklebt«, erklärt Jeckel.
Die Werkstatt bildet aus - alle zwei Jahre jeweils zwei Lehrlinge. Einer ist gerade mit seiner Lehre fertig geworden, der andere wird Ende Februar fertig. Zudem arbeitet ein Nachwuchsingenieur Elektronik in Schöllkrippen, der ein duales Studium an der Hochschule in Mannheim absolviert.
Für die Kahlgrundbahn gebaut
Warum liegt diese Bahnwerkstatt jedoch am äußersten nordwestlichen Ende des Streckennetzes der Westfrankenbahn, die ja im Süden bis Heilbronn und im Osten bis Würzburg fährt? Natürlich wäre eine zentralere Werkstatt sinnvoll, erklärt Jeckel, aber dazu müsste man diese erst ein᠆mal bauen, was einen zweistelligen Millionenbetrag kosten würde. Die nächsten größeren Werkstätten liegen in Frankfurt-Griesheim und Nürnberg. In Würzburg gebe es eine kleinere Wagenwerkstatt.
Ursprünglich wurde die Werkstatt 2004 für die Kahlgrundbahn gebaut. Als im Dezember 2005 die Hessische Landesbahn den Bahnbetrieb übernommen hat, wurde die Werkstatt nicht mehr benötigt. So griff die Westfrankenbahn zu und mietete sich ein.
Mietvertrag wird verlängert
Obwohl die Überführungsfahrten zeitaufwendig und personalintensiv sind, möchte die Westfrankenbahn in Schöllkrippen bleiben. Nachdem sie jetzt den Zuschlag über weitere zehn Jahre für ihr Kernnetz von Aschaffenburg bis Baden-Württemberg erhalten hat, soll der Mietvertrag für die Bahnwerkstatt, der noch bis 2027 geht, vorerst bis ins Jahr 2031 verlängert werden. In Miltenberg soll aber zusätzlich eine Möglichkeit für kleinere Reparaturen geschaffen werden.

dVideo und Diashow unter: www.main-echo.de
Josef Pömmerl

15.02.2018
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