Kiffen für die Konjunktur? Drogen und Waffen zählen zur Wirtschaftsleistung dazu? Klingt unglaublich, ist aber zumindest zum Teil Realität. Die Europäische Union (EU) will Konjunkturdaten international besser vergleichbar machen und schreibt daher ihren Mitgliedstaaten ab dem 1. September neue Regeln zur Berechnung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) vor, das alle erwirtschafteten Güter und Dienstleistungen erfassen soll.
Das Statistische Bundesamt wendet die neue Methode bereits an - und hat sie für mehr als 20 Jahre rückwirkend durchgerechnet.
Prostitution und Schwarzarbeit erhöhen die deutsche Wirtschaftsleistung schon länger. Nun steigern auch Drogenhandel und Tabakschmuggel das BIP. Die Folge: Für manche Jahre seit 1991 fällt die deutsche Bilanz besser aus als zunächst berechnet. In anderen ist das Wachstum aber geringer.
Die Einbeziehung illegaler Aktivitäten ist nicht unumstritten. Ein Experte des Statistischen Bundesamtes hält den Schritt aber für sinnvoll: »So gibt es Länder, in denen Drogen verboten sind, aber Alkohol erlaubt ist - es gibt aber auch Länder, in denen es umgekehrt ist. In manchen europäischen Ländern sind nur bestimmte Drogen verboten, andere dagegen legal.«
Ohnehin gebe es - von der Steuerhinterziehung abgesehen - wirtschaftlich betrachtet keinen Unterschied zwischen Tabakhandel und Tabakschmuggel: In beiden Fällen werde eine Dienstleistung erbracht, welche die Bedürfnisse der Konsumenten befriedige. Allerdings gibt es für Statistiker einen bedeutenden Unterschied: Die Erhebung der Daten ist ungleich komplizierter.
Um Drogenhandel und Tabakschmuggel in das BIP einzurechnen, müssen sich Statistiker auf Modellrechnungen verlassen. Deren Ergebnis sei »nicht dem üblichen Genauigkeitsstandard der amtlichen Statistik entsprechend«, hatte das Wiesbadener Bundesamt schon in diesem Frühjahr eingeräumt.
Nach Berechnungen der Behörde dürfte dieser Posten das BIP-Niveau nur um maximal 0,1 Prozent erhöhen. Bei Drogen und Tabakschmuggel wirkt sich nur die Handelsspanne im Inland auf die Wirtschaftsleistung aus, nicht aber der Wert von Kokain oder Kippen bei der Einfuhr.
Aus Gründen der besseren Vergleichbarkeit fließt EU-weit künftig auch Prostitution in die BIP-Berechnungen ein. In Deutschland ändert das nichts, weil sexuelle Dienstleistungen hierzulande erlaubt sind und bereits - als Schätzung - Teil der Wirtschaftsleistung sind. Demnach dürften etwa 1,2 Millionen Männer, die in Deutschland täglich sexuelle Dienstleistungen in Anspruch nehmen, Bordellen, Sex-Kinos oder Table-Dance-Bars einen Jahresumsatz von über 14 Milliarden Euro bescheren. Etwa die Hälfte wird im deutschen BIP berücksichtigt, der Rest wird als Vorleistung für Schutzgelder, Mieten, Kleidung oder Kondome abgezogen. »Je Kontakt läge der Preis über alle sexuellen Dienstleistungen somit bei gut 30 Euro«, erklären die Statistiker in ihrem »Schätzmodell zur Ermittlung der Prostitution in Deutschland«.
Infolge der neuen Berechnung steigt zum Beispiel das BIP 2013 schlagartig um fast drei Prozent auf rund 2,810 Billionen Euro. Dies liegt aber weniger an illegalen Aktivitäten. 70 Prozent der Neuberechnung macht nach Erklärung des Bundesamtes aus, dass Aufwendungen für Forschung und Entwicklung (F+E) als Investitionen verbucht werden statt wie bisher als Vorleistung. Die Erfassung illegaler Aktivitäten sowie die Berücksichtigung von Waffenkäufen schlage nur mit etwa 10 Prozent zu Buche. Die restlichen 20 Prozent der Veränderung beruhe auf einer Revision der herkömmlichen Daten.
In der Fachwelt wurde die Änderung lange diskutiert, es bleiben Zweifel. So ist in der EU-Verordnung zu lesen, der Kauf von Kriegsschiffen, Militärflugzeugen, Panzern oder Raketenträgern gelte künftig als Investition. Begründung: Militärische Waffensysteme dienten der Friedenssicherung. Dass Waffen auch zerstören können und Wohlstand verringern, bleibt außen vor. In Deutschland buchte das Bundesamt Militärausgaben bei der BIP-Berechnung bislang als Vorleistungen des Staates, sie flossen in den Staatskonsum ein.
Kennziffer für den Wohlstand
Die Neuerungen könnten einmal mehr die Debatte über Sinn und Unsinn des BIP als exklusive Kennziffer für den Wohlstand anheizen. Gut zwei Jahre lang zerbrachen sich im Bundestag in der Enquete-Kommission »Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität« Politiker und Sachverständige den Kopf, wem ein so errechnetes Wirtschaftswachstum nutzt, wenn gleichzeitig Arten sterben, das Klima zerstört wird oder die Schulabbrecherquote steigt.
Im Januar empfahl die Kommission zehn Messwerte, die anzeigen sollen, wie gut oder schlecht es den Bürgern geht: Neben dem BIP sollten auch Faktoren wie Einkommensverteilung, Staatsschulden, Bildungsabschlüsse, Gesundheit, Grad der Freiheit, Treibhausgase und die Artenvielfalt berücksichtigt werden. Das ist Zukunftsmusik. Friederike Marx (dpa)