Zum Piraten-Selbstverständnis gehört: Jeder kann mitmachen. Bei den Netzdebatten müsse man kein Parteimitglied sein, um seine Meinung sagen zu können, erklärt Zillger, ein 34-jähriger IT-Fachmann aus Mömbris. Piraten schreiben sich Transparenz und Basisdemokratie auf den Wimpel, der auf dem Tisch im Kegelzentrum in Aschaffenburg-Damm steht. Das klingt erst einmal gut, hat aber seine Tücken.
Unter piratenpartei.de gibt es unzählige Chats, Foren, Tools, Mailinglisten. Wer auf »Alle Infos« klickt, wird gewarnt: »Achtung, unter Umständen viele Nachrichten am Tag!« Klaus Klüber (Alzenau), seit eineinhalb Wochen an Bord, sagt: »Ich finde es wahnsinnig kompliziert.« Es gäbe unzählige Kanäle und dann werde vielleicht doch im stillen Kämmerlein eine Entscheidung getroffen, meint der Piraten-Neuling.
Lars Zillger weist dies zurück: »Das kann ich mir als gewählter Vorstand nicht erlauben. Dann gibt’s Dresche.« In Unterfranken gibt es derzeit 350 Piraten, die Zillger auf die Finger schauen, »täglich kommen zwei neue dazu«, sagt er.
Der IT-Fachmann kennt die Probleme und hat Verständnis für Klüber: »Die Tools sind manchmal wichtiger als das, was man damit macht.« Er sieht die Gefahr, dass sich die Piraten zu sehr mit sich selbst beschäftigen. Und auch er schifft nicht ohne Probleme durch den Online-Sumpf: »Ich such’ mir manchmal auch 'nen Wolf«, sagt er.
Jürgen Neuwirth (Frammersbach), Student der Elektro- und Informationstechnik, der sich für den Posten des unterfränkischen Vize-Parteichefs bewirbt, sieht die Netzwelt ähnlich kritisch. Er regt an, Einführungskurse für die Nutzung der Online-Tools (wie »Liquid Feedback« zur Meinungsbildung) zu veranstalten. Die Idee findet Zustimmung.
Die Technik-Diskussion, die durch Neu-Pirat Klüber zustande kommt, zieht sich. Der offensichtliche Männerüberschuss und die Tatsache, dass für die Wahlen zum unterfränkischen Vorstand keine Piratin kandidiert, bietet den Stammtischteilnehmern keinen Anlass zur Sorge. »Wir erfassen gar nicht, wer Frau ist«, sagt einer. Außerdem: Ein Frauenname in einer E-Mail-Adresse sei noch lange kein Hinweis auf die Identität.
Anonymität im Netz ist für viele Piraten ein hohes Gut. Das geht sogar so weit, dass Mitglieder des Bundesvorstands wissen ließen, sie wollten nicht, dass sie bei Wikipedia auftauchen. Lars Zillger kann verstehen, wenn jemand seine Identität strikt schützen will. In bestimmten Positionen sei dies dennoch »schwierig«. »Aber wir Piraten machen es uns selbst oft nicht leicht.«
Politisch wird es an dem Abend auch noch: »Ist ein Ortsverband eine sinnvolle Organisationsebene?«, fragt Olaf Lang (Aschaffenburg). Der Chemiker ist seit 2009 Pirat und auch er kandidiert für den Bezirksvorstand. Zillger schlägt vor: »Wir müssen die Basis befragen, wie sie dazu steht.« Die Meinungen gehen auseinander: »Wir wollen in den Bezirkstag«, sagt einer. »Mit der Kommunalpolitik ist es so 'ne Sache«, sagt ein anderer. »Auf Kreisebene gibt es wenig Schnittmengen, auf Ortsebene sehr wohl«, so eine weitere Wortmeldung.
In den Tiefen des Netzes wird wohl inzwischen darüber diskutiert. Beim Bezirksparteitag am 19. November in Würzburg sind die Piraten vielleicht schon schlauer, wie sie es mit der Kommunalpolitik halten wollen.
Renate Englert
Hintergrund: Aschaffenburger Piraten-Stammtisch
Seit 2009 treffen sich die Piraten der Region einmal pro Monat zum Stammtisch. Beim jüngsten Treffen vergangenen Freitag waren 17 Parteimitglieder, Sympathisanten und Interessierte nach Aschaffenburg gekommen, darunter zwei Frauen (beide keine Parteimitglieder). Die meisten Teilnehmer sind zwischen 20 und 40, davon etliche mit einem IT-Beruf oder einem technischen Studium. Eine älteres Ehepaar aus Klingenberg ist neugierig: »Ich will mir einen persönlichen Eindruck von den Leuten verschaffen, die ich vielleicht wählen werde«, sagt Richard Schmid. (re)