Mehr noch, der Umstieg sei sogar dann noch »technisch realisierbar und wirtschaftlich vertretbar«, wenn nach dem rot-grünen Atomausstiegsbeschluss alle Kernkraftwerke in Deutschland bis spätestens 2022 nach und nach abgeschaltet werden.
Zu diesem Ergebnis kam eine Studie mit dem sperrigen Titel »Voraussetzungen einer optimalen Integration erneuerbarer Energien in das Stromversorgungssystem«, die das Wirtschaftsministerium in Vorbereitung für das Energiekonzept der schwarz-gelben Regierung in Auftrag gegeben hatte. Doch im vorigen Sommer wollte Brüderle, der auf eine deutliche Laufzeitverlängerung aller 17 Atommeiler drängte, von derartigen Szenarien nichts wissen, das Gutachten verschwand in der Schublade und wurde erst Mitte Februar auf der Internet-Seite des Ministeriums eingestellt.
Dabei widerlegten die unabhängigen Gutachter, die Aachener »Consentec GmbH« und die Kölner »R2B Energy Consulting GmbH«, schon im letzten Jahr die Behauptung Brüderles, ein rascher Ausbau der erneuerbaren Energien würde ohne eine gleichzeitige deutlicher Laufzeitverlängerung die Strompreise explodieren lassen. Dieser Effekt, so die Gutachter, trete erst ab einem Anteil von 50 Prozent ein. Auch beim Ausbau der Stromnetze dürfte es nach den Ergebnissen der Studie keine großen Verwerfungen geben. Während der Wirtschaftsminister davon spricht, dass bis zu 3600 Kilometer neue Hochspannungstrassen nötig seien, um den Ökostrom zu den Kunden zu bringen, kommen die Autoren auf lediglich 250 Kilometer.
»Der Puffer reicht«
Auch der Präsident des Umweltbundesamtes, Jochen Flasbarth, hat keine Zweifel, dass ein kompletter Atomausstieg bis zum Jahre 2017 möglich ist und der Anteil der Erneuerbaren Energien bis 2020 auf 40 Prozent gesteigert werden kann.
Da schon jetzt eine »ganze Reihe« Kohle- und Gaskraftwerke im Bau seien, könnten die neun Atomkraftwerke, die derzeit noch am Netz sind, »nach und nach abgeschaltet werden«, sagte er der »Frankfurter Rundschau«. Schon die Abschaltung der acht ältesten Meiler habe die Strompreise bislang kaum steigen lassen, zur Verfügung stünden auch ohne die acht Meiler 90,5 Gigawatt Leistung, während der Spitzenbedarf an einem strengen Wintertag bei rund 80 Gigawatt liege. »Der Puffer reicht allemal.«
Noch optimistischer ist der Sachverständigenrat für Umweltfragen. Er gehe davon aus, dass Sonne, Wind, Wasser und Co. bis zum Jahre 2050 den Strombedarf in Deutschland komplett decken können, sagte der Generalsekretär des Rates, l. Dies sei die kostengünstigste, sicherste und auch für die Umwelt günstigste Lösung. »Eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke ist nicht erforderlich und stört den beschleunigten Übergang zu den erneuerbaren Energien.« Während die Kosten für Kohle, Gas oder Uran in den nächsten Jahrzehnten dramatisch steigen werden, werde langfristig ein Umstieg auf Sonne und Wind »kostengünstiger sein als ein konventioneller Energiemix«, prognostizierte er.
Energiekonzerne stoppen AbgabeMit großer Gelassenheit reagierte am Montag die Bundesregierung auf die Ankündigung der vier großen Energiekonzerne, während des dreimonatigen Moratoriums die Zahlungen in den Ökofonds zum Ausbau erneuerbarer Energien auszusetzen. Die Regierung habe dies »zur Kenntnis« genommen, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Nach Ende des Moratoriums Mitte Juni werde alles gemeinsam betrachtet, dann gelte es auch, die finanziellen Auswirkungen zu klären.
Martin FerberHintergrund: Atomethik-Kommission live im Fernsehen
Die von der Bundesregierung eingesetzte Atomethik-Kommission steht nach den Worten ihres Vorsitzenden Klaus Töpfer vor einer einmaligen Chance. Jetzt gebe es die Möglichkeit, einen gesellschaftlichen Konsens über einen Ausstieg aus der Kernkraft zu erreichen, sagte der CDU-
Politiker und ehemalige Bundesumweltminister am Montag dem Fernsehsender Phoenix. Einerseits sei nach der
Atomkatastrophe im japanischen Fukushima die Sensibilität für das Thema gestiegen, andererseits steckten die alternativen Energieformen, anders als bei dem Reaktorunglück von Tschernobyl 1986,
nicht mehr in den Kinderschuhen, betonte Töpfer.
Für einen Atomausstieg seien vier Voraussetzungen zu erfüllen, so der Kommissionsvorsitzende weiter. Der Energiepreis dürfe nicht massiv ansteigen und der Klimawandel nicht verschärft werden. Zudem dürften langfristig keine Stromimporte vonnöten sein und die Sicherheit der Energieversorgung nicht gefährdet werden.
»Wenn Sie diese vier Randbedingungen alle auflösen, können wir ganz schnell raus«, sagte Töpfer. - Der Sender Phoenix will die künftigen Sitzungen der Atomethik-Kommission live übertragen. Erster Sendetermin ist Donnerstag, der 28. April, ab 8 Uhr. (KNA)