Regisseur Alexander Eisenach inszeniert die Kern-Geschichte um zwei Menschen, die sich zu Lebzeiten verpasst haben und nun für 24 Stunden zurück ins Sein dürfen, sowohl in der Welt der Toten, als auch in der Welt der Lebenden. Dabei ist die Welt der Toten diejenige, die auf der Bühne dargestellt wird, die Welt der Lebenden wird filmisch auf dem transparenten Leinwandvorhang gezeigt, per Live-Übertragung aus der Unterkellerung des Bühnenbodens.
Oliver Rossol führt die Kamera und erzählt in Großaufnahmen, immer nah an den Gesichtern der Schauspieler, über die Dramaturgie der Blicke. Die Mischung aus Theater, Film und Video-Take lässt völlig neue Erzählformen des Sartre-Stücks zu, ursprünglich tatsächlich als Drehbuch verfasst. Der Mord an Revolutionär Pierre Dumaine (Christoph Pütthoff), passiert vor der Kamera und wird dabei vom Mörder als Narrator geschildert - mehr noch: Sein Opfer schluckt im Bild die rote Theater-Flüssigkeit, um sie dann als Blut wieder aus dem Mundraum zunächst täuschend echt, dann ironisierend wieder freizugeben. Revolution und Handlungs-Hinterfragung - das ist der geschichtlich-moralische Hintergrund des Stücks. Sartre schreibt »Das Spiel ist aus« 1943, Paris ist besetzt, die Resistance kämpft für Freiheit. Die Inszenierung schlägt den Bogen zur Zeit von Liberte, Egalite, Fraternite und zur aktuellen Bewegung etwa von Transgender-Identitäten.
Revolutionär Pierre erkennt für sich im Totenreich, dass Freiheit nicht die ist, die den Toten zugesprochen wird, sondern Freiheit sich im Handeln zeigt, das den Lebenden vorbehalten ist. Doch haben wir wirklich die Freiheit, etwas zu bewegen, etwas aus uns zu machen, wie Lucette (Katharina Bach) wie ein Pamphlet in die Kamera spricht? Sartre führt hier den Determinismus mit einem Anklang an den Fatalismus an. Jeder ist in sich verhaftet. In den Din-A4-Umschlägen, die in der Zwischenwelt ausgegeben werden, sind Rolle und Requisit eines jeden enthalten: der Bart, der den Revolutionär und Mörder macht, und ihn eben nicht Crepes-Verkäufer sein lässt, wie die Figur aus der Rolle heraustretend einmal wünscht.
Immer wieder gehen die Figuren auf die Ebene der Reflexion, diskutieren folgerichtig die Handlungs-Stränge des Stücks. Wunderbar als Stilmittel eingesetzt, den Zuschauer in die Rolle des Meta-Beobachters zu versetzen. Unwillkürlich stellt er sich am Ende zurückgeworfen auf die eigene Existenz die Frage: Wozu?
»Warum sollte ich weitermachen? Nein, Du ziehst es vor, das fehlende Einzelteil des Puzzleteils zu sein. Du hältst Dich raus. Du lässt Dich vom Glück nicht anlächeln und setzt nicht alles auf eine Karte«, wird im Begleitheft der französische Schriftsteller Georges Perec zitiert. Denn das ist die Antwort, die jedem überlassen sei, sie anzunehmen oder gar als Freiheit zu sehen: Nur im Handeln liegt die Möglichkeit.
bDie nächsten Vorstellungen: 20., 21. März, 2., 3. April, 20 Uhr;
Restkarten an der Abendkasse.
Manuela Klebing
Hintergrund: Sartres Beweggründe - und was in den Kammerspielen Frankfurt daraus wird
Jean-Paul Sartre (1905 bis 1980): Französischer Philosoph, Schriftsteller, Publizist und Hauptvertreter des Existenzialismus; Werke »Das Sein und das Nichts«, »Das Spiel ist aus« (1943 von Sartre geschriebenes Drehbuch, 1947 verfilmt); Existenzialismus: Der Mensch ist zunächst Existenz und damit verantwortlich für sein Sein und jegliches moralische Handeln; Determinismus: Alle Ereignisse sind durch ihre Vorbedingungen festgelegt.
»Das Spiel ist aus« in Frankfurt: In der Hauptrolle als Eve Chevalier die überragend-ausdrucksstarke Claude de Demo. Als Regent Andre Charlier schafft es Lukas Rüppel, die Szenen immer wieder aufzubrechen und auf die nächste Reflexionsebene zu bringen. Regisseur Alexander Eisenach erzählt mit einer unglaublichen Dichte an Ideen. Videomann Oliver Rossol arbeitet aus einem tiefen Verstehen der Kamerageschichte heraus. (mkl)