Sie haben seit 1985 regelmäßig Alben veröffentlicht, waren als Musiker und vor allem mit dem Voodooclub immer präsent. Dennoch ist es vergleichsweise ruhig um Sie geworden.
Es war schon schlimmer. Die 2000er-Jahre sind an mir vorbeigelaufen, die Popularität der Band war in dieser Zeit am schwächsten. Jetzt touren wir wieder viel mehr und merken, dass unser Bekanntheitsgrad steigt.
Genießen Sie diese Zurückgezogenheit oder braucht ein Künstler permanent Öffentlichkeit?
Ich verweigere mich ja den meisten Medien, vor allem Fernsehen und Radio. Die sind mir einfach zuwider, weil sie nur noch kommerziell ausgerichtet sind. Da will ich mich nicht anpassen. Ich lebe ja sehr zurückgezogen, ein Stück weit habe ich Angst vor zu viel Öffentlichkeit.
Öffentliche Wahrnehmung erhalte ich durch die Konzerte. Das kann wie eine Sucht sein - die bei mir zeitweise erloschen war, aber jetzt im positiven Sinne wieder da ist. Ich habe 400 Songs im Repertoire, mit denen ich schöne Erinnerungen im Vier-Minuten-Takt beim Publikum wecken kann: Das ist doch genial.
Spielt das Live-Erlebnis tatsächlich diese große Rolle für die öffentliche Wahrnehmung?
Es ist tatsächlich schwieriger geworden, Kunst mit Anspruch zu machen. Ich hatte eine Zeit lang sicherlich auch nicht die Super-Live-Besetzung der Band. Das hat sich geändert, wir sind eine sehr gute Live-Band und ich merke, wie wir das Publikum überzeugen können. Das macht zum einen natürlich persönlich Spaß, ich lebe mein Leben in Konzerten aus - das spricht sich auch herum. Insofern sind Konzerte eine sehr gute Möglichkeit, über den unmittelbaren Auftritt hinaus wahrgenommen zu werden.
Phillip Boa and the Voodooclub zählen zu den renommiertesten deutschen Bands: 2012 schrieb John Robb, ein renommierter englischer Musikkritiker, im Louder Than War-Magazine: »Boa ist einer der bedeutendsten deutschen Künstler der letzten 30 Jahre.« Ehrt Sie das?
Ich weiß nicht, ob die Aussage stimmt. Sicherlich zähle ich nicht zur ersten Liga der deutschen Rock-Musiker, mir fehlt da ganz einfach die Massentauglichkeit. Was nicht bedeutet, nicht ehrgeizig zu sein: In den besten Zeiten des Voodooclubs hatten wir bei einem Konzert in Berlin '93 an die 3300 Besucher. Das will ich in jedem Fall noch einmal erreichen.
»Massentauglich« bedeutet aber nicht »bedeutend«.
Natürlich ist mir der Begriff »bedeutend« lieber. Ich mache meine Arbeit und weiß, dass sie nicht massentauglich ist. Ich will nicht billig klingen, meine Alben sollen sich über die Zeit hinweg nicht abnutzen: Das ist mir tatsächlich wichtig. Wenn »bedeutend« meint, dass ich meinen Stolz habe, ein gewisses Niveau nicht zu verlassen, dann ist das okay.
Sie leben seit Jahrzehnten auf Malta. Gibt es so etwas wie Heimweh?
Das ist nicht ganz richtig, ich bin auch immer wieder in Hamburg und Dortmund - meine Familie ist auf diese drei Orte verteilt. Heimweh fühle ich nicht, ich bin ein eher rastloser Mensch, reise auch gerne. Wenn ich zu lange an einem Ort bin, dann werde ich ungenießbar. Diese Rastlosigkeit bewahrt mir auch meine Neugierde.
Haben Sie mit 52 Jahren zu sich gefunden?
Ich wäre dankbar für eine innere Ruhe - aber ich habe auch Angst davor, dass ich dann keine Lieder mehr schreiben könnte. Wenn ich mir die Welt anschaue, dann befinde ich mich mitten drin in einer sich rasanten Veränderung. Wir haben ja stündlich neue Entwicklungen im ganzen Spektrum zwischen Wut und Begeisterung. Und ja: Ich finde diese Hektik nicht unbedingt beruhigend.
Wenn Sie sich die aktuelle deutsche Rock- und Pop-Szene ansehen: Welche Entwicklungen sehen Sie?
Ich kenne mich da gar nicht so gut aus, bekomme allenfalls über das Internet einiges mit. Es gibt wohl eine Menge guter Bands, die allerdings kaum eine Lobby haben. Über die Kommerzialität von Rundfunk und Fernsehen haben wir ja schon gesprochen. Es ist im Grunde Wahnsinn: Bands wie die Beatles oder Led Zeppelin hätten - als Newcomer - heutzutage keine Chance mehr, sich bemerkbar zu machen.
Stimmt Sie das traurig?
Nein. Ich bin ja selbst ein Außenseiter in diesem Geschäft. Im Grunde ist es in der Kunst, in der Musik so, dass man nie aufgeben darf. Es gilt, immer weiter zu kämpfen. Mit jedem Album, mit jedem Auftritt.
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Philipp Boa & The Voodooclub: Freitag, 6. März, 20 Uhr, Colos-Saal Aschaffenburg
Stefan Reis
Zur Person: Philipp Boa
Geboren 1963 in Dortmund als Ernst Ulrich Figgen gelang Philipp Boa unmittelbar nach Gründung der Band Voodooclub mit dem Debütalbum »Philister« 1985 der Sprung auf Platz 1 der deutschen Independent-Charts. Das aktuelle »Bleach House« schaffte es auf Platz 7 der deutschen Musik-Charts.
Boa ist der einzige Musiker mit durchgängiger Mitgliedschaft im Voodooclub.
Charakteristisch für die Musik Philipp Boas ist der Einfluss von britischem Punk und New Wave, typisch für ihn die Verbindung dieser Stile mit melodische Refrains, die von Stimmungswechseln durchbrochen oder verfremdet werden. (Stefan Reis)