Blut, Schweiß und Tränen

Ausstellung: »Die große Illusion: Veristische Skulpturen und ihre Techniken« in der Liebieghaus Skulpturensammlung in Frankfurt

Frankfurt
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Schockierend lebensecht: Hyperrealistische Pietà von Sam Jinks, der sich mit seinem toten Vater porträtiert hat. Fotos: Liebieghaus Skulpturensammlung
Foto: NORBERT MIGULETZ
»Kopf Johannes des Täufers« von Torcuato Ruiz del Peral um 1750.
Foto: NORBERT MIGULETZ
Man möch­te sie be­rüh­ren. Un­be­dingt. Man möch­te ih­re nack­te Haut er­tas­ten. Ihr über das st­reng zu­sam­men­ge­bun­de­ne Haa­re st­rei­cheln, die­ser be­zau­bern­den »Ari­el« von John de And­rea. Aber na­tür­lich wi­der­steht man der Ver­su­chung, denn sie ist Kunst. Ei­ne le­bens­gro­ße Skulp­tur, die dem Le­ben be­son­ders na­he kommt. Ver­füh­re­risch na­he.
Sie und andere Beispiele für veristische Skulpturen - also Bildwerke, die die Realität so genau wie möglich nachzuahmen versuchen - sind derzeit in der Liebieghaus Skulpturensammlung in Frankfurt zu sehen. »Die große Illusion« ist der bezeichnende Titel der Schau, die 52 Werke aus allen Zeiten der Kunstgeschichte präsentiert.
Mit Glasaugen verziert
Die Schau beginnt mit Beispielen aus der ägyptischen Kunst und der Römerzeit, als es Mode war, Porträts mit Glasaugen zu verzieren. Sie führt über Beispiele der Renaissance wie dem um 1500 entstandenen Jesusknaben von Michel Erhart und des Barock hin zu Skulpturen des 18. und 19. Jahrhunderts, in denen der Verismus eine echte Hochzeit erlebte.
Die Mater Dolorosa von Cristóbal Ramos mit den unendlich leidenden, rot geweinten und eingesetzten Glasaugen und den feinen Zähnen aus Fischbein verkörpert eine Inbrunst, die berührt. Und der Anblick des über und über mit klaffenden Wunden übersäten und geschundenen Körpers des Christus an der Geißelsäule des Meisters IPS aus dem Alpengebiet lässt einen auch lange nach dem Verlassen der Schau nicht los. Das abgetrennte Haupt des Johannes mit dem zu einem Stöhnen geöffnetem Mund und den gebrochenen, schmerzverzerrten Augen ist grausam mitleiderregend. Genau dafür wurden diese Bildwerke einst geschaffen: Um die Gläubigen in ihrer Frömmigkeit zu bannen. Die Ausstellung schließt mit zeitgenössischen Werken des Hyperrealismus wie jenem von John de Andrea, Sam Jinks bewegender »Pietà«, in der sich der Künstler zusammen mit seinem toten Vater auf dem Schoß porträtiert hat, oder Ron Muecks »Man in a Sheet«, einen in einem weißen Laken zusammengekauerter Mann. Sie zeigen, wie der Verismus auf die Spitze getrieben worden ist. Mit allen erdenklichen Mitteln wie Fiberglas, Silikon, Kunsthaar und Latex wird die Illusion schließlich perfekt. Zugleich stellen sie einen Endpunkt einer Entwicklung dar. Weiter als sie kann man die Suche nach der Wahrheit kaum treiben.
Blut, Schweiß und Tränen: Es ist das, was uns zu Menschen macht. Was beweist, dass wir leben. »Die große Illusion« berührt: Weil sie so nah am Leben ist - und gleichzeitig so fern zum Heute ist.
b»Die große Illusion«: bis 1. März 2015 in der Liebieghaus Skulpturensammlung Frankfurt; Dienstag, Mittwoch, Freitag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr, Donnerstag 10 bis 21 Uhr.
Bettina Kneller
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