Tänzer hungert gegen Missstände
Ballett: László Attila Kocsis mit stillem Protest vor dem Darmstädter Staatstheater - Haus weist Anschuldigungen zurück
Ein strahlender Sommertag. Auf dem riesigen Platz vor dem Darmstädter Staatstheater sitzen Studenten, Bürger, unterhalten sich, lachen, genießen die Sonne. Ein junger Mann übt Salto und Handstand, ein anderer vollführt mit dem Skateboard waghalsige Sprünge. Menschengruppen flanieren quer über den Platz.Und vorbei an dem jungen Mann, der da seit gut zwei Wochen sitzt. Rund um die Uhr, bei jedem Wetter. Und der auch an Tag 15 außer Wasser nichts zu sich nimmt. Aus Protest hungert László Attila Kocsis - um deutlich zu machen, wie ernst es ihm damit ist.
Kocsis hockt auf einer Isomatte, um ihn herum ein Tablet-Computer, ein Zauberwürfel, wärmende, wasserfeste Klamotten, ein Schlafsack und Wasserflaschen. Er hat Plakate geschrieben, auf denen steht »Hungerstreik« und »15 Tage«. Freunde schauen regelmäßig nach ihm, betreuen ihn auch medizinisch, damit rechtzeitig bemerkt wird, wenn sein Körper nicht mehr mitspielt.
Von 2007 bis 2011 Tänzer
Nicht ohne Grund hat er sich direkt vor dem Staatstheater positioniert. Kocsis hat von 2007 an vier Jahre im dortigen Ballettensemble getanzt. In Jochen Ulrichs »Lorenzaccio« tanzte er 2008 die Rolle des Kardinals, in Mei Hong Lins Inszenierung »Carmina Burana« die Rolle des Schicksals.
Sein letzter Arbeitgeber habe ihm schwer zugesetzt, sagt Kocsis. Durch die Schikanen im Training sei er zusammengebrochen und im Krankenhaus gelandet. Das anhaltende Mobbing von Seiten der Leitung habe ihn veranlasst, das Ensemble schließlich zu verlassen.
Inzwischen hat er eigene Projekte als Tänzer und als Choreograph. Einige davon sehr erfolgreich: Seine Produktion »Match« wurde 2012 zum »Times Square International Theater Festival« nach New York eingeladen.
»Dennoch will ich ein Zeichen setzen gegen ein System, in dem Tänzer einem immensen Druck ausgesetzt sind und sogar verletzt trainieren müssen, weil Produktionen in immer knapperen Zeitrahmen fertig werden müssen«, sagt Kocsis. Ein System, in dem die Ballettchefin Mei Hong Lin ihre Tänzer choreographieren lasse - am Ende aber nur ihr Name als Urheberin genannt sei.
Schwere Anschuldigungen, die das Staatstheater entschieden zurückweist. Nichts davon sei wahr, so Pressesprecher Steffen Meder. »Die finanziellen Ansprüche und Vorwürfe entbehren jeglicher Grundlage, somit besteht diesbezüglich kein Handlungsbedarf«, so die Theaterleitung. Man habe mehrfach das Gespräch mit Kocsis gesucht und versucht, ihn zum Einlenken zu bewegen, was aber nicht gelungen sei. Auch eine Vertreterin der Stiftung Tanz Transition Zentrum Deutschland habe mit dem Ex-Tänzer gesprochen, um ihn von seinem selbstschädigenden Tun abzubringen. Ohne Erfolg.
Die jetzige Situation sei eine Belastung für das ganze Ensemble. Auch Theaterbesucher fragten sich, was mit dem Mann vor dem Haupteingang los sei. Meder hofft, dass Kocsis seinen Hungerstreik einstellt und sich vielleicht doch noch entschließt, den Rechtsweg zu beschreiten.
»Aufgeben? Das kommt für mich nicht in Frage. Ich bleibe so lange hier sitzen, bis das Staatstheater sich ernsthaft mit meinen Vorwürfen auseinandersetzt und die Vorgänge untersucht«, sagt der Tänzer, der sich mit Meditieren über die Hungertiefs hinweg hilft.
Der Rechtsweg stehe ihm offen, das wisse er. Aber er wolle Gerechtigkeit auf anderem Wege erreichen: indem das Staatstheater seine Verfehlungen zugibt. Es könnte also gut sein, dass Kocsis noch lange dort sitzt und hungert. Sehr lange. Bettina Kneller