Stilecht mit Divenfrisur
Genauso muss sie geklungen haben, die damals so aufregend neue amerikanische Musik der 30er und 40er Jahre. Und genauso wie die Herren auf der Bühne müssen sie ausgesehen haben, die tadellos frisierten Musiker und Sänger im Maßanzug zum blütenweißen Hemd mit Fliege. Stilecht im roten Abendkleid zur blonden Hollywood-Divenfrisur agierte Sängerin Viola Manigk als einzige Dame auf der Bühne, mal als energiegeladener Mittelpunkt der Gesangsgruppe »Skylarks«, mal als Solistin.
Mit Benny Goodmans »Bei mir bist du schön« sang sie sich endgültig in die Herzen der Zuhörer. Ein unter die Haut gehendes Klarinettensolo und der Wettstreit zweier Trompeten mit irrsinnig schnellen Klangstrudeln machte das Stück zu einem Erlebnis der Extraklasse.
Nicht satt hören konnte man sich auch an Glenn Millers »Chattanooga Choo Choo«. Zusammen mit dem auch als Sänger überzeugenden Saxofonisten Finn Wiesner trieben die Skylarks das Tempo voran zwischen dem Tuten und Pfeifen der Dampflok, das die Posaunen und Trompeten so schaurig schön nachmachten.
Auch viele andere Besucher in der fast voll besetzten Halle waren von den ersten Takten an - Goodmans »Let’s Dance« - offensichtlich angetan vom Experiment des Kulturamts der Stadt, die diesjährige »Magnolien«-Gala erstmals komplett dem guten alten Swing zu widmen. Statt der rosa Blüten gab es heuer andere Frühlingsboten: jene aus Kurt Widmanns entspannter Version des 20er-Jahre-Schlagers »Wenn der weiße Flieder wieder blüht«.
Orchesterleiter Hermlin, Sohn des Berliner Schriftstellers Stephan Hermlin, wusste auch zum Thema Jazz in Berlin Unterhaltsames und Wissenswertes zu berichten: Es habe dort auch in den 30er und 40er Jahren viele Swing- und Tanzorchester gegeben, die mehr oder weniger offen ihren Stil gepflegt hätten.
Perfekte Musik, perfekte Illusion
Selbst in alten Ufa-Filmen habe man die offiziell verpönte Musik verwendet, etwa in »Cora Terry« das populäre Stück »Für eine Nacht voller Seligkeit«. Wiesner sang es mit lustvollem Seufzen in der Stimme. Auf dem Bühnenhintergrund erschienen Bilder schöner junger Menschen, die sich verliebt und voller Optimismus ansahen: Das Amerika der alten Hollywoodfilme war zum Greifen nah an diesem köstlich nostalgischen Abend, bei dem perfekte Musik die perfekte Illusion zauberte. Glenn Millers »Juke Box Saturday Night« erklang voller erotischer Spannung und Zweideutigkeit. Paul Whitemans »Jeepers Creepers« hörte sich draufgängerisch und verlockend zugleich an: schmeichelweicher Posaunenklang zum fordernden Gesang.
Ein Schwarzweißfoto der »Hauptstadt des Verbrechens« mit Tin-Lizzy-Oldtimern im Hintergrund gab die suggestive Szenerie für Tommy Dorseys »Chicago« ab. Sänger David Rose mit samtigem Charme in der Stimme sang sich hier aber erst warm.
Bei »Blue Skies«, einer Melodie, die Frank Sinatra zusammen mit Dorsey unsterblich gemacht hatte, kam Rose seinem Vorbild Frankieboy schon recht nahe und bestach vollends mit »Marie«, einer Dorsey-Ballade mit einem Trompetensolo zum Dahinschmelzen. Das Swing Dance Orchestra als Retro-Traumfabrik: Was könnte besser passen zur Zeit, in der die Magnolien in voller Blüte stehen?
Melanie Pollinger
Hintergrund: Die Aschaffenburger Frühlingsgala
Unter dem Motto »Wenn die Magnolien blühen« stand die diesjährige Aschaffenburger Frühlingsgala, von der sich besonders die ältere Generation begeistert zeigte. »Das ist die Musik unserer Jugend«, schwärmte auch die Aschaffenburger Heimatdichterin Irmes Eberth alias »Meiers Kätt«, die am Sonntag ebenfalls im Publikum saß. Die Augen der pensionierten Musiklehrerin strahlten, so sehr freute sie sich an der Inspiriertheit und der messerscharfern Perfektion des Gebotenen: an der »zum Heulen« schönen »Moonlight Serenade« von Glenn Miller etwa oder am glasklaren Klarinettenklang, der die im Berkeley Square singende Nachtigall imitierte. (Redaktion)