Vollraths große Mission ist es seit Jahren, den Brückenschlag zu schaffen zwischen abgehobener Hochschulmathematik und öffentlichem Interesse.
Dafür organisiert der Würzburger alljährlich eine Sonderausstellung zu einem Spezialthema - und diesmal geht es in der neuen Teilbibliothek der Mathematik auf dem Campus Hubland-Nord eben um Parallelen. Ein Phänomen, das für Laien zunächst nichts weiter bedeutet als zwei Linien, die sich nicht schneiden - das aber Mathematiker schon seit mehr als 2000 Jahre intensiv beschäftigt. Und wer mit offenen Augen durch die Stadt läuft, merkt rasch: Der Mensch hat sich eine Welt voller Parallelen gestaltet - angefangen bei geradliniger Architektur bis hin zum gestreiften Wollschal.
Geschichte der Instrumente
Dabei geht es in Vollraths Ausstellungen nicht allein um die mathematischen Ideen, sondern vor allem auch um Geschichte: Der emeritierte Professor sammelt seit vielen Jahren historische Instrumente, die im engeren oder auch weiteren Sinn mit Mathematik zu tun haben. Zunächst ging es ihm vor allem darum, seinen Unterricht anschaulich zu gestalten. 1989 organisierte er dann seine erste Ausstellung. Dabei ging es um Rechenmaschinen. »Parallelen« sind das mittlerweile 15. Thema, das Vollrath der Öffentlichkeit nahe bringen will. Die Aufbereitung soll Laien ebenso ansprechen wie Mathematiker.
Wie viele historische Instrumente er über die Jahrzehnte gesammelt hat, kann der Wissenschaftler nicht sagen. Früher habe er sich in Antiquitätengeschäften auf die Suche gemacht, heute sei eBay eine wahre Fundgrube. Doch nur ein Bruchteil der Apparate und Geräte lagert bei dem 77-Jährigen daheim. Denn nach jeder Sonderausstellung schenkt er die jeweiligen Objekte der Universität. Vollrath hofft, dass seine Sammlung eines Tages vielleicht in einem universitätseigenen Museum ständig für die Öffentlichkeit zugänglich sein wird, auch weil die Ausstellung im Eingangsbereich der Teilbibliothek so ihre Haken hat. Weil hier Studenten arbeiten, soll Ruhe herrschen, Führungen sind nicht möglich. Über Texttafeln wird die Verwendung der Objekte in insgesamt sechs Vitrinen zwar erklärt, lieber noch würde Vollrath Ausstellungsbesucher aber selbst tüfteln lassen und noch viel tiefer in die Materie einsteigen - zum Beispiel mit Abstechern in andere Disziplinen.
»Wir brauchen Kontakte, aber ebenso ein menschliches Nebeneinander - und damit Überschneidungen wie Parallelen«, so der Professor philosophisch. Das sei wie in der Musik: Hier laufe die zweite Stimme oft parallel zur ersten - ohne jede Überschneidung werde ein Musikstück aber rasch langweilig. Im Chipdesign etwa seien parallele Schaltungen an bestimmten Stellen aus ganz praktischen Gründen sinnvoll. Egal ob Schneider, Schreiner, Dachdecker oder Fliesenleger: Jeder Handwerker brauche Werkzeug, um mit Parallelen zu arbeiten. Und für Menschen käme noch ein ästhetischer Faktor hinzu: Parallelen als eine menschliche Suche nach Ordnung. Auch in der Kunst spielten Parallelen eine große Rolle - obwohl sein Kunstlehrer ihm einst den Gebrauch eines Lineals untersagt habe, fügt Vollrath schmunzelnd hinzu. Jeder schraffierte Stich aber bestehe aus Parallelen. Von ganz entscheidender Bedeutung sind Parallelen und Senkrechten in der Architektur, die dort mit Hilfe des Zeichenbretts entworfen werden. Die Mathematik kann den engen Zusammenhang zwischen ihnen erklären.
Zirkel und Lineal
Entsprechend vielfältig sind die historischen Gerätschaften zum Zeichnen von Parallelen in der kleinen Sonderausstellung. Mit Zirkel und Lineal arbeiteten nachweislich schon die Griechen, Zeichendreiecke gewannen laut Vollrath vor allem im Mittelalter große Bedeutung. In der Neuzeit wurden Parallel-Lineale entwickelt, die durch Querstreben verbunden sind; Roll-Lineale gehen auf den Engländer Anthony George Eckhardt (1771) zurück; hinzu kommen Schraffiergeräte und ganz spezielles Handwerkszeug. »Der große Unterschied ist: Entwickle ich ein Universalinstrument oder aber ein Spezialgerät«, erläutert Vollrath. Das eine sei umfassend nutzbar, das andere meist präziser. Ein Universalgerät ist zum Beispiel das noch heute im Geometrieunterricht verwendete Geodreieck, in dem Lineal, Winkelmesser und Hilfslinien zum Zeichnen von Parallelen und Senkrechten verbunden sind.
»Die schönen Seiten der Mathematik kommen viel zu kurz in der Gesellschaft«, bedauert Vollrath. Zahl und Form hätten nicht nur eine nützliche, sondern auch eine ästhetische Seite. Mathematik sei überall, auch wenn man sie auf den ersten Blick nicht sehe. Und genau deshalb will der 77-Jährige den Blick der Öffentlichkeit gezielt für »seine Mathematik« schärfen.
Michaela Schneider
Die Sonderausstellung ist
bis Ende 2012 in der Teilbibliothek Mathematik auf dem Campus Hubland-Nord von
Montag bis Freitag von 8.30 und 18 Uhr zu sehen.
Zur Person: Hans-Joachim Vollrath
Hans-Joachim Vollrath wurde am 24. November 1934 in Berlin geboren. Er ist emeritierter Professor für Didaktik der Mathematik. Nach dem Studium folgte 1969 die Habilitation an der Technischen Hochschule Darmstadt im Fach Mathematik. 1970 wurde Hans-Joachim Vollrath zum ordentlichen Professor am Lehrstuhl für Didaktik der Mathematik an der Julius-Maximilians-Universität in Würzburg berufen.
Als ständige Ausstellung sind in der Bibliothek des Instituts für Mathematik auf dem Hubland die von Vollrath gesammelten historischen Rechenmaschinen zu bewundern.