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Das Farnsworth House in Plano bei Chicago ist vielleicht das größte Missverständnis der Architekturgeschichte. Es ist aber auch ein Meisterstück der modernen Kunst, hinterlassen vom deutschen Architekten Ludwig Mies van der Rohe.
Das Haus war schon Kunstgeschichte, ehe es überhaupt gebaut war. 1947 wurde ein Model im Museum of Modern Art in New York ausgestellt, da war der erste Stein noch nicht gesetzt. Zwei Jahre zuvor hatte Edith Farnsworth, erfolgreiche Ärztin und fließend in fünf Sprachen, auf einer Party die deutsche Bauhaus-Legende Ludwig Mies van der Rohe (1886-1969) um einen Gefallen gebeten. Sie hatte ein Grundstück am Fox River westlich von Chicago gekauft und wollte ein Wochenendhaus. Mies van der Rohe sollte es entwerfen - und er tat es, als wäre es für ihn selbst.
40 000 Dollar veranschlagte Mies. Doch mit dem Koreakrieg wurde Stahl teurer und zum Schluss waren es 73 000 Dollar. Ein Durchschnittshaus kostete damals 5000 Dollar. Von Durchschnitt war das Farnsworth House allerdings auch weit entfernt: Mies hatte ein 140 Quadratmeter großes Haus gebaut, dessen vier Wände komplett aus Glas waren. Auch innen gab es keinen Sichtschutz, nur die beiden Badezimmer waren abgeteilt. Gekocht, gegessen, gesessen und auch geschlafen wurde so, dass es immer von mindestens drei Seiten einsehbar war.
«Wenn Sie eine halbe Stunde in dem Haus sind, verschwinden die Wände», sagt John Palmatier. «Sie sind dann mitten in der Natur.» Palmatier gehört zu der Initiative, die das Haus 2003 kaufte und zum Museum machte. «Mies hat das Haus perfekt entworfen. Wenn man rausguckt, sieht man genau ein Drittel Himmel, ein Drittel Fluss und ein Drittel Rasen.» Davor ist die Terrasse mit 220 Marmorplatten. «Mies hatte genau festgelegt, welche wo hin muss. Doch das ging durcheinander und keiner konnte die Platten auseinanderhalten. Als Mies davon erfuhr, wurde er wütend und ließ sich alle Platten noch einmal zeigen und bestimmte, welche wohin kommt.»
Mies hat 5000 Stunden an Details des Hauses gearbeitet. Das schließt die wenigen Möbel mit ein. Allerdings gab es kaum Stauraum und auch im Bad keinen Schrank. «Er sagte, die Frau kommt nur zum Wochenende hier raus, wozu braucht sie Lippenstift», erzählt Palmatier. Und es gab nur eine Lampe. «Sie ist allein, sagte er, sie kann die Lampe einfach immer mit sich nehmen und da, wo sie gerade ist, einstecken.»
Edith Farnsworth mochte das 1951 gebaute Haus, nur fand sie es unpraktisch. Beide zerstritten sich und gingen gar vor Gericht, allerdings vor allem wegen der Kosten. Nach 21 Jahren verkaufte sie das Haus 1972 an Lord Peter Palumbo. Der Engländer sammelte architektonisch faszinierende Häuser wie andere Uhren und lebte und feierte in Plano. 2003 wurde es nach einem Bieterkrimi schließlich an eine Initiative versteigert, die es zum Museum machte. 8000 Besucher kommen im Jahr.
Das Haus steht auf Stelzen, weil es direkt am Fluss liegt. Genau fünf Fuß und drei Zoll hoch - 1,60 Meter. Das war knapp über der bis dahin höchsten Flut des Fox Rivers. Doch schon 1954 kam eine höhere und das Haus stand einen guten halben Meter unter Wasser. Und bislang gab es noch zwei höhere Fluten. Bei einer brach eine der Glaswände und Dutzende Kunstwerke von Palumbo wurden fortgespült.
«Das Haus ist atemberaubend», sagt Tom Kinsella von der Chicago Architecture Foundation. «Es hat Generationen von Architekten inspiriert. Klar, ich weiß auch nicht, ob ich in den Glaswänden leben möchte. Aber aus künstlerischer Sicht ist es perfekt. Einfach perfekt.»
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